„Hallo?“, rief ich nun laut.
„Hallo?“ Der Riese grunzte und horchte auf.
„Hier unten bin ich!“, schrie ich noch lauter.
Der Riese hob seinen Kopf und sah sich um. „Wer ist da?“
„Ich!“, brüllte ich hoch. „Elia Evander.“
„Elia Evander? Kenn ich nicht“ Der Riese neigte sich zu mir herab. „Bist du eine Fee?“
Pauline lässt den Riesen mit tiefer Stimme donnern. Elia antwortet ihm mit fröhlicher Stimme.
Pauline liest gerade aus ihrem Buch vor, das sie von Zuhause mitgebracht hat. Wir sind auf dem Vorlesewettbewerb auf Landesebene und sitzen in Kiel im Landtag. Die Landtagsvizepräsidentin Eka von Kalben hat uns begrüßt und betont, welche große Bedeutung das Lesen hat. Sie lobt die Landes-Finalisten und sagt, sie seien alle Sieger, denn durch das Buchlesen schon hätten sie fantastische Welten für sich gewonnen.
Pauline ist eine von sechs 6.-Klässlerinnen aus ganz Schleswig-Holstein, die am Dienstagnachmittag vor Christi Himmelfahrt bei strahlendem Sonnenschein begleitet von ihren Großeltern an die Kieler Förde gekommen ist. Andere Finalisten werden auch von ihren Großeltern oder Eltern begleitet. Und im Schleswig-Holsteinsaal herrscht, bevor es losgeht, angespannte Erwartung. Alle tragen einen Tagesausweis an einem Band um den Hals, denn ohne Anmeldung und ohne Ausweisvorlage am Eingang kommt keiner ins Parlamentsgebäude.
Nach dem Willkommen des Moderators, des Veranstalters und der kleinen Rede der Landtagsvizepräsidentin geht es los: Pauline liest als Vierte. Sie tritt unter Applaus an den Schreibtisch auf dem Podium und setzt sich vor das Mikro. Es wird still, alle sehen sie an und sie liest drei Minuten lang so aus „Magic Agents“ von Anja Wagner vor, dass man die Szene in der Höhle des Riesen vor sich sieht. Dann ist es vorbei und wir hören den anderen zu.
Es ist Paulines vierte vorbereitete Textstelle: In der Schule hat sie aus Michael Endes „Der satanarchäogenialkohöllische Wunschpunsch“ vorgelesen, im Stadtentscheid war es „Gangstaoma“ von David Williams und in Rendsburg beim Kreisentscheid eine gruselige Stelle aus dem neusten Band der „Schule der magischen Tiere“. Wie bei den anderen Veranstaltungen erwartet Pauline in der zweiten Hälfte des Wettbewerbs ein unbekannter Text. Jeder liest zwei Minuten und schließt immer da an, wo der Vorgänger aufgehört hat. Ich bin zugegeben ein großer Fan von Pauline, aber ich meine auch ohne dies, dass Pauline super liest – flüssig, sie versteht den Inhalt und liest entsprechend mal schneller, mal langsamer, flüsternd oder mit besonderer Betonung. Als sie wieder an ihren Platz kommt, kann man ihr die Erleichterung, aber auch die Freude an der Sache anmerken.
Als alle gelesen haben, zieht sich die Jury zur Beratung zurück, und wir essen Erdbeerkuchen, plaudern etwas und genießen die Aussicht auf die sonnige Förde.
Am Ende bekommen alle eine Teilnehmerurkunde und ein Buch. Es ist nicht Pauline, die gewonnen hat –, obwohl sie es verdient hätte. Die Gewinnerin war auch gut. Alles OK. Auch bei Pauline, die mir noch für ein Foto im Flur fröhlich ihre Urkunde präsentiert. Dann greifen wir beide, wie auch viele der anderen Teilnehmer und ihre Begleiter, die Gelegenheit beim Schopfe und fahren eine extralange Runde mit dem Paternoster – sowas gibt es in Flensburg nicht und muss ausprobiert werden!!
Herzlichen Glückwunsch Pauline zu deinem Riesen-Erfolg beim Vorlesewettbewerb – eine der sechs Landesbesten!!! COOL!
Christine Franzen