Der Austausch mit dem Lyzeum in Zakopane in der Hohen Tatra seit 1995


Goethe-Schüler in den wilden Karpaten

Die Vorgeschichte

Es begann in den frühen 90er Jahre. Viele Schulen in Osteuropa suchten nach der politischen Öffnung Partnerschulen im Westen, und eine Gruppe des deutschen nordschleswigschen Lehrerverbandes, mit dem Frau Dr.Kistrup in Verbindung stand, war in Zakopane vom dortigen Oswald Balzer-Lyzeum angesprochen worden, sodass bald erste Kontakte geknüpft werden konnten.

Eine eifrige Korrespondenz wurde eingeleitet, die Deutsch-Polnische Gesellschaft eingeschaltet und erste private Reisen nach Polen unternommen.

1995 war es dann so weit. Aus den beiden elften Klassen meldeten sich 20 Schüler/innen zum

Abenteuer in den polnischen Karpaten und wurden in Sprache, Geschichte, Geographie, Kultur, Politik und Gesellschaft vorbereitet. Bei Piroggen wurden dann die ersten Sprachbrocken mit bedeutungsvollen Inhalten wie ‚Ich komme aus Flensburg und habe keinen Hunger’ geübt und winterfeste Überlebensausrüstungen für den erwarteten eiskalten Tatrawinter gekauft.

Ankunft in der Winterhauptstadt Polens

In der Morgendämmerung im Januar 1996 tauchte die Flensburger Gruppe nach einer 23stündigen Zugfahrt in Zakopane auf und wurde mit vielen Küssen und Umarmungen herzlich in Empfang genommen. Vergessen waren die Anspannung und die Müdigkeit, die barsche Erstürmung des Zuges in Berlin durch polnische Grenzhändler, die ersten Stunden auf einem schummerigen Bahnhof in Posen und das stundenlange Schaukeln des Zuges durch die winterliche Nacht.

Eingehüllt in die polnische Gastfreundschaft wurden alle zu den jeweiligen Gastfamilien entführt, bei denen dafür gesorgt wurde, dass man sauber und gesättigt in die polnischen Federn fallen konnte.

Zakopane

Manches, was in der Vorbereitung vermittelt worden war, erwies sich als nicht ganz stichhaltig. So stimmt es sicherlich, dass die katholische Kirche eine sehr große Rolle spielt, das Familienleben sehr wichtig ist, viele polnischen Austauschschülerinnen erst während des Austausches das erste Mal in die Disko dürfen, bei der Begrüßung viel geküsst wird und der Handkuss auch noch nicht ausgestorben ist. Aber die Bewohner der polnischen Tatra, die Goralen, sind sehr wohlhabend, und das, was wir in Zakopane vorfanden, entspricht nicht immer den Vorstellungen von polnischer Armut. Lehrer verdienen sehr wenig, aber den Selbstständigen geht es manchmal gar nicht so schlecht, und so fanden sich viele Goethe-Schüler/innen in Einzelzimmern wieder und konnten so oft wie gewünscht duschen. Auch wurde man nicht immer zum Essen gezwungen, sondern auch ein „Nein“ wurde respektiert.

Das Programm

Im Vordergrund des Austausches stand und steht die Begegnung der Jugendlichen. Es sollten und sollen so viele Möglichkeiten geschaffen werden, wie es nur geht. Von unserer Seite wurde von Anfang an auch viel Gewicht auf das Kennenlernen des polnischen Schulsystems, das Hineingehen in die Schule gelegt, auch sollte eine Exkursion nach Auschwitz nicht fehlen, die polnische Seite wollte eher die landschaftlichen und kulturellen Schönheiten Südpolens präsentieren.

So entstand eine bunte Mischung vieler Elemente, die allen Belangen gerecht werden kann:

  • Besuch der Schule, des Deutsch- und Englischunterrichts, gemeinsames Volleyballturnier
  • Skifahren auf der Gubalowka (Hausberg Zakopanes) oder in der Bergwelt (Da viele der polnischen Schüler/innen Skilehrer/innen sind, sind die Voraussetzungen ausge-sprochen günstig.)
  • Ausflüge in das Koscieliska-Tal, auf den Kasprowy Wierch (2000m) mit der Seilbahn und zum Morskie Oko (Bergsee im Nationalpark der Hohen Tatra)
  • gemeinsame Schlittenfahrt durch das winterliche Zakopane mit Picknick am Feuer
  • Besichtigung Krakaus und des Salzbergwerks in Wieliczka (Weltkulturerbe)
  • Exkursion nach Auschwitz (Aus Kostengründen ist bei den letzten Austauschen dieser Punkt durch eine Fahrt in die nahe Slowakei ersetzt worden.)

In all den Jahren hat sich Zakopane als relativ schneesicher gezeigt, Skifahren war immer möglich, auch wenn wir nicht ganz vom warmen Föhnwind (Halny) verschont blieben. Aber nicht selten erlebten wir die Tatra recht frostig (beim ersten Austausch bis -20 Grad) und auch Schneehöhen von zwei Metern haben Goethe-Schüler/innen kennen gelernt.

So manche deutsch-polnische Freundschaften ist auch geknüpft worden, sodass Folgebesuche nicht ausblieben. Und nicht nur ein deutscher Junge hat die strapaziöse 23stündige Busfahrt in die Karpaten immer wieder auf sich genommen. (Übrigens ist Flensburg mit Krakau durch eine direkte Buslinie verbunden.)

Auf der anderen Seite wollten wir den Erwartungen unserer polnischen Gäste natürlich auch gerecht werden und Norddeutschland und die Goethe-Schule im besten Licht präsentieren. Wir gingen und gehen davon aus, dass für polnische Schüler/innen der Westen immer noch mit großer Freiheit und Freizügigkeit gleichgesetzt wird. Wir sind uns aber auch darüber bewusst, dass ein polnischer Schüler, der sich in Großenwiehe oder Satrup wiederfindet, nicht unbedingt vom goldenen Westen begeistert ist.

Deshalb sind Ausflüge nach Hamburg (mit dem Besuch eines Musicals) oder Sylt von besonderer Bedeutung, auch wenn sie nicht ganz billig sind.

Ausblick

Seit dem ersten Austausch hat sich so manches verändert. War 1996 eine Fahrt nach Polen noch etwas Außergewöhnliches, Abenteuerliches, eine Begegnung mit Osteuropa, den Folgen des Sozialismus oder den letzten Tatra-Bären, so liegt Polen heute in Mitteleuropa, ist Mitglied der EU und bei allen Klischees doch eher vertraut. Auch sind die Kosten gestiegen (von 320 DM auf 350 €) und die Deutsch-Polnische Gesellschaft hat nicht mehr so viele Gelder zur Verfügung.

Und trotzdem hat der Austausch gehalten, Jahr für Jahr sind 15 bis 25 Goethe-Schüler/innen in die Karpaten gefahren und haben die Eltern die Bewirtung und Versorgung der Gäste engagiert übernommen.

Es wäre wünschenswert, dass die gegenseitigen Besuche auf-rechterhalten werden könnten, da in einem gemeinsamen Europa das gegenseitige Kennenlernen von großer Bedeutung ist.

Auch wenn Jugendliche heutzutage vielfältige Möglichkeiten haben, die Welt zu erkunden, vermitteln gerade Austauschfahrten intensive Einblicke und unvergessliche Eindrücke.

U. Jeromin